Die Probezeit: So unendlich wertvoll!

Im Scheisshaus die Pissrinne säubern, Stunden am Tresen stehen und die Member bedienen, immer auf einen Anruf gefasst sein, sich ständig Sprüche anhören, unentwegt auflaufen, das Klubhaus sauber halten und renovieren, und was weiß ich noch. Und das ganze Paket neben Job und Familie dann noch mit erhobenen Kopf wuppen. Jeder, der das über eine sehr lange Zeit durchgemacht hat, kann stolz darauf sein, sich dieser menthal schwierigen Aufgabe gestellt zu haben. Dass es anscheinend auch einfacher geht, stellen wir allerdings seit Jahren auch immer wieder fest.

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Mich wundert es daher kaum, wenn sich immer mehr Biker von der Szene abwenden, weil sie die alten Werte und Riten den Bach runtergehen sehen. Es sind insbesondere die MC’s, die eine höchst verantwortliche Stellung einnehmen. Wenn sie es nicht mehr konsequent leben, wer denn dann. Haltet mich für naiv, aber ich sperre mich einfach dagegen, dass es keine andere Option gibt, als sich der Situation zu ergeben, dass eben der Zeitgeist sich geändert hat und man daher milder mit dem Nachwuchs umgehen sollte..

Es spielt für mich keine Rolle, wie groß der MC selber ist. Jeder Club muss sich immer erst einmal an die eigene Nase fassen, ob er nicht selber schon in einen Strudel geraten ist, für den man selbst verantwortlich ist. Durchweg auf die großen MC’s zu verweisen, hört sich für mich immer häufiger als ein Alibi an, nach dem Motto, wenn das bei denen so läuft, was sollen wir denn dann tun. Na, was wohl? Die Probezeit konsequent durchziehen, auf die richtigen Leute setzen! Und dieses stellt man in der Regel nicht in sechs Monaten fest.

Oft genug hört man auf Partys: „Jo, wir sind gut gewachsen“. Aha, schön für euch. Doch ist es auch ein gesundes Wachstum. Oder hat man einfach nur jeden Typen eingesammelt, der mal eben auf einen Drink im Klubhaus vorbeigeschaut und Interesse angemeldet hat, damit man für sich eine weitere Stecknadel auf der Landkarte verbuchen kann. Wo führt das hin? Zum Olymp? Na, ich weiß nicht.

Ich spüre schon den Gegenwind. Das liegt u. a. an den Geschäften, die einige machen. Aha, und die sind also jetzt dafür verantwortlich, dass eine ganze Subkultur seine Werte aufweicht? Das wäre ja wohl ziemlich traurig. Business gab es schon in den 70ern! Es ist doch wohl eher das, was uns täglich beeinflusst. Medienberichte über Patch-Overs, direkt das Full-Patch ohne Probezeit, heute so, morgen so, usw.. Machen wir uns nichts vor, über das Unterbewusstsein kommen diese Botschaften an und sie beeinflussen uns. Nur ein in sich starker und geschlossener Club ist in der Lage, sich von derlei Einflüssen weitesgehend frei zu halten.

Ich behaupte, dass die Probezeit die alles entscheidende Phase dafür ist, um mit dem Neumember das Chapter/Charter zu stärken. Hier werden die Weichen gestellt, hier muss der Mann seinen wahren Charakter zeigen. Klar gibt es Männer, die sich einfach nur gut verkaufen können und/oder aufgrund von Connections leichter durch die Probezeit kommen, doch ob ihnen dadurch der volle Respekt in der eigenen Truppe gewiss ist, das steht auf einem völlig anderen Blatt. Und nach der Taufe geht es ja erst richtig los. Und hier verkaken viele, mutieren zu Mitläufern und Ja-Sagern.

„Member zu werden ist leicht, Member zu bleiben schwer“.

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Da haben Proben sich offensichtlich voll reingehängt, um mit der Ernennung zum Member plötzlich zwei Gänge zurück zu schalten. Wie kommt das? War es doch nur ein Schaulaufen für die Galerie? Wenn das so ist, runter mit dem Teil und mal eben eine Ehrenrunde drehen. Hat noch niemanden geschadet! Mir auch nicht! Und dann mal gleich gemeinsam am Tisch darüber nachdenken, ob man evtl. nicht richtig hingesehen hat. Kann auch nicht schaden! Nennt man Selbstreflexion!

Es gibt nach wie vor etliche Clubs, die dafür bekannt sind, dass du nicht mal eben so das Centerpatch bekommst. Und diese genießen in der Szene hohes Ansehen. Ob ein Mann tatsächlich die wahren Werte in sich trägt oder nicht, stellst du schnell in einem persönlichen Gespräch fest. Wen kennt er, mit wem und wo war er schon unterwegs, welche Partys hat er besucht, wie steht er zu seinen Leuten, für was stehst Du. Dabei geht es vordergründig gar nicht mal um ein Richtig oder Falsch. Es geht um eine klares Standing, auch wenn man sich in der Minderheit wähnt.

Ich habe schon immer dafür plädiert, dass Proben auch alleine fahren sollten, nicht nur in der Gruppe. Volle Konzentration auf den Mann. Da stehen dann keine fünf Mitspieler aus derselben Liga neben dir, nee, da muss der Mann dann alleine durch. Und wenn ich ihm das in der Probezeit nicht zutraue, dann sollte man sich mal einen Kopf darüber machen, ob er überhaupt passt. Ich hatte das Glück, das mich mein Menthor seinerzeit alleine losfahren ließ und kam daher bei etlichen Gelegenheiten den alten Recken näher, also zuvor auf 5 Partys.

Jeder MC ist m. e. jedenfalls gut beraten, wenn er tatsächlich eine Mindestprobezeit keinesfalls unter einem Jahr festlegt. Da müssen alle durch und die sich eben mehr einbringen als andere, dürfen daher nach der Mindprobeestzeit etwas früher damit rechnen, ehrenvoll in die Bruderschaft aufgenommen zu werden.

Aber mal eben in sechs Monaten ab und an den Tresen wischen, hier und da eine Party besuchen und die ein oder andere Tour zu fahren, ist doch wohl mehr als lächerlich. Kein Wunder, wenn die Juppe dann mal schnell in die Ecke fliegt, wenn der Wind plötzlich etwas rauher wird.

Und wenn sich jetzt jemand peinlich tangiert fühlt, liegt es ggf. daran, dass ich wohl nicht so ganz falsch liege. Das ist einfach nur meine ganz persönliche Meinung! Nicht mehr und nicht weniger. Dafür stehe ich! Das Thema bietet unendlich mehr Input, aber die wesentlichen Aspekte aus meiner Sicht sind benannt. Und nun Feuer frei!

Autor: Lars Petersen

Mitglied im DPV Deutscher Presseverband - Verband für Journalisten e.V. Über 30 Jahre Erfahrung als Vertriebsmann, davon 9 Jahre Anzeigenleiter bei der Borgmeier Media Gruppe GmbH in Delmenhorst. Steckenpferd? Texten. Zur Person? Vater und MC-Mitglied (1%er). Karre? 99er Harley Davidson Road King. KM pro Jahr? Das reicht schon! Mein Credo? Geht nicht, gibt es nicht!! Machen, nicht labern! Der Autor weist ausdrücklich darauf hin, dass er seine Tätigkeit mit der höchst möglichen Neutralität und Objektivität ausführt und die Inhalte im Online-Magazin nur von ihm entschieden werden, sofern es sich nicht um bezahlte Aufträge handelt. Besonderes: U. a. Veranstalter von Bikes, Music & More Vol.1 bis 5. - Das Biker-Festival in Delmenhorst, Organisator der Biker Meile im Rahmen des Delmenhorster Autofrühlings sowie Produzent vom Motorcycle Jamboree Journal. Ausrichter vom Rocker Talk 1 und 3.