Szene: Presse & Wechselwirkungen!

Vor kurzem wurden acht Mitglieder der Hells Angels in Berlin zu lebenslanger Haft verurteilt. Das letzte Wort ist allerdings in diesem Verfahren noch nicht gesprochen, da sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung die Revision anstreben. Da parallel gegen drei Polizisten im Zusammenhang mit dieser Tat wegen fahrlässiger Tötung ermittelt wird, angeblich hatte die Polizei Kenntnis von einer konkreten Bedrohung für das spätere Opfer und hat keinerlei Maßnahmen ergriffen, um die Person zu schützen bzw. die Tat zu verhindern, kann der Fall abschließend nicht beurteilt werden.

Das soll allerdings auch heute nicht mein Thema sein. Der Richterspruch in Berlin bietet lediglich den Anknüpfungspunkt für das, was jetzt kommt. Denn kurz nach dem Urteil fand ich im Netz u.a. diesen Artikel der Gießener Allgemeine, der am 07. Oktober aktualisiert wurde. Steigt mal eben auf den Link ein und lest euch den Bericht durch, um danach wieder hier einzusteigen.

https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/hells-angels-ayguen-mucuk-drei-jahren-erschossen-warum-musste-giessener-rocker-sterben-zr-13075291.html

Ursache & Wirkung!

Der Mord an Aygün Mucuk wurde nach der Tat medial massiv ausgeschlachtet. Drei Jahre ist das nun her. Wenn es nun neue Erkenntisse gibt, so ist es die Aufgabe der Presse darüber zu berichten. Doch was haben wir tatsächlich Neues aus dem Artikel erfahren? Nichts! Stellt sich somit die Frage nach der Motivation der Redaktion, diesen Artikel zu diesem Zeitpunkt zu veröffentlichen.

Die mögliche Antwort?

Für mich völlig klar. Die Redaktion spingt auf den Zug auf, der medial durch das Urteil in Berlin in Gang gesetzt wurde. Man nutzt lediglich den aktuell auf den Hells Angels MC gesetzen Fokus aus, um die eigenen Leser zum erhöhten Konsum zu veranlassen. Substantiell gibt es jedenfalls keinen Grund diesen Artikel zu bringen. Nun, dann kann man sich die Arbeit an sich sparen, oder?

Nicht aus Sicht der Medien, denn diese sind in erster Linie Wirtschaftsunternehmen. Und in Zeiten massiv sinkender Absatzahlen der Printmedien wird jede Möglichkeit genutzt, um durch spektakuläre Inhalte den Leser zum Konsum zu animieren. Und wenn es nicht in gedruckter Form passiert, dann via dem eigenen Onlinedienst. Das alles ist legal, man versößt damit nicht gegen geltende Gesetze, alles scheint abgedeckt durch die freie Meinungsäußerung. Allerdings müssen die Maßstäbe der Presse deutlich höher sein, als bei jedem Leser. Wesentlich höher!

Diese Maßstäbe hat man im Pressekodex verankert. Dort heißt es zum Beispiel unter Ziffer 2 der Präambel:

„Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.“

Die in dem Artikel aufgezeigten drei Mordmotive werden durch das Wort „vermeintlich“ nicht als Fakt bezeichnet. Die gesamte Form der Darstellung erzeugt jedoch beim Leser unweigerlich den Eindruck, dass der Presi von den eigenen Leuten ermordert wurde. Es wird nicht einmal die potentielle Möglichkeit erwähnt, dass es Täter außerhalb der Rockerszene waren, die Mucuk getötet haben. Ist das sorgfältig, ist das vor allem fair? Mitnichten! Denn eine Berichterstattung muss immer so ablaufen, dass es dem Leser überlassen wird sich auf Basis von Fakten eine eigene Meinung zu bilden. Doch in Punkto Rocker können die Redakteure an sich alles schreiben, da sie mit einem Veto aus der Szene nicht rechnen müssen und Rocker keine Lobby haben.

Unter anderem deshalb ist die Berichterstattung über Anlässe in der Rockerszene oftmals vorverurteilend. Die Macht des Wortes lenkt in eine klar beabsichtigte Richtung. In Bezug auf den Dieselskandal würde sich das kein Redaktuer trauen, spätestens bei der Redaktionskonferenz käme der Hinweis darauf, dass man den Stil des Artikels komplett ändern müsse, da man sonst mit rechtlichen Maßnahmen der Konzerne gegen den Verlag zu rechnen habe. Hier aber wird der Leser bereits in eine sehr konkrete Richtung gelenkt, insbesondere weil entlastende Optionen erst gar nicht aufgezeigt werden. Und nach drei Jahren darf der Umstand einer nicht vorhandenen Beweislage gegen Rocker wenigstens die Frage aufwerfen, ob der Mord ggf. völlig andere Motive hatte.

Interessant ist an dieser Stelle die Ziffer 13 der Präambel:

Richtlinie 13.1 – Vorverurteilung

Die Berichterstattung über Ermittlungs- und Gerichtsverfahren dient der sorgfältigen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Straftaten und andere Rechtsverletzungen, deren Verfolgung und richterliche Bewertung. Sie darf dabei nicht vorverurteilen. Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. In der Sprache der Berichterstattung ist die Presse nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für den Leser unerheblich sind.

Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines „Medien-Prangers“ sein. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.

Top-Anzeige

Der Medienpranger!

Ich glaube, darüber muss man nicht mehr diskutieren, dass Rockerclubs ein Spielball der Medien geworden sind und wengistens ein gesellschaftlicher Pranger durch eine einseitige Stilführung in der Wortwahl entstanden ist. Die Gießener Allgemeine hat nichts Verbotenes getan, aber mit Sicherheit stellt dieser Artikel, den ich exemplarisch herausgesucht habe, nicht die Form der Berichterstattung dar, die dem Pressekodex vollends entspricht. Schon gar nicht nach drei Jahren ohne Fakten und Beweise! Es ist eine reine Luftpumpe!

Ja, die Presse muss im Trüben fischen oder im Nebel stochern, um Mißstände aufzeigen zu können. Das ist ein Kernelement der journalistischen Arbeit, vor allem im investigativen Sektor, aber wenn es keine belegbaren News gibt, dann muss die Schublade dicht bleiben. Insofern ist dieser Artikel wohl wieder nur dazu geeignet einen negativen medialen Fokus auf einen Club, damit auch auf die Szene zu lenken, bzw. das Urteil in Berlin zu nutzen, um Kasse zu machen! Entweder durch den Direktverkauf oder durch erhöhten Content, der für die Werbung wichtig ist. Eine andere Motivation kann ich diesem Artikel nicht unterstellen!

Und nun?

Es gibt derzeit meinerseits konkrete Gedanken eine separate Informationsplattform zu errichten, auf der immer wieder u.a. die Wechselwirkungen der Berichterstattung ein Thema sein werden, aber auch Aspekte wie das Insignienverbot oder die neuen Polizeiaufgabengesetze. Dazu wird es in Zukunft Gespräche mit potentiellen Partnern aus der Clubszene, aber auch mit Nichtmembern geben. Mal sehen, was dabei herauskommt. Dabei habe ich nicht nur den aufklärenden Aspekt im Kopf, sondern auch das Wir, dokumentiert über ein gemeinsames Format.

Um es klar zu stellen, niemand will etwas todschweigen oder strafbare Handlungen verharmlosen. Aber mittlerweile ist ein Punkt erreicht, an dem man zeitgemäß agieren muss. Auch die meisten Biker konsumieren nur die Publikumsmedien. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass selbst diese kaum differenzieren und oftmals eine vorverurteilende Position einnehmen. Wer diese Art von Berichterstattung nur an der Oberfläche konsumiert, wird aber irgendwann feststellen, dass er schon lange in die Meinungsfalle getappt ist, egal wie oft er selber von einer Schmierenpresse sprach.

Autor: Lars Petersen

Mitglied im DPV Deutscher Presseverband - Verband für Journalisten e.V. Über 30 Jahre Erfahrung als Vertriebsmann, davon 9 Jahre Anzeigenleiter bei der Borgmeier Media Gruppe GmbH in Delmenhorst. Steckenpferd? Texten. Zur Person? Vater und MC-Mitglied (1%er). Karre? 99er Harley Davidson Road King. KM pro Jahr? Das reicht schon! Mein Credo? Geht nicht, gibt es nicht!! Machen, nicht labern! Der Autor weist ausdrücklich darauf hin, dass er seine Tätigkeit mit der höchst möglichen Neutralität und Objektivität ausführt und die Inhalte im Online-Magazin nur von ihm entschieden werden, sofern es sich nicht um bezahlte Aufträge handelt. Besonderes: U. a. Veranstalter von Bikes, Music & More Vol.1 bis 5. - Das Biker-Festival in Delmenhorst, Organisator der Biker Meile im Rahmen des Delmenhorster Autofrühlings sowie Produzent vom Motorcycle Jamboree Journal. Ausrichter vom Rocker Talk 1 und 3.