Kuttenverbot: MdB Ulla Jelpke zum Status Quo!

Hinweis: Aktualisierung des Beitrages aus 2017!

Der Termin für die diesjährigen Ausgabe von Freedom is our Religion rückt näher. Am 12.09.2020 wird Berlin m. E. nach von weitaus mehr Motorradfahrern besucht werden, als in den letzten Jahren. Irgendwie scheint sich in den Köpfen vieler Biker eine Blockade gelöst zu haben, eine Blockade, die es bisher verhindert hatte, dass man sich näher mit dem Aspekt des Insgnienverbotes befasst hat.

Im April dieses Jahres hatte ich mein letztes Interview mit Ulla Jelpke, Franktion Die Linke, geführt. Ulla Jelpke hatte seinerzeit mit ihrer Fraktion als einzige gegen die Verschärfung des VereinsG votiert.  Ich habe den Prozess damals konsequent verfolgt. Ich haue das Interview aus April 2020 erneut auf die Startseite, um denjenigen, die bisher das Thema ignorierten mal einen Einblick zu geben, warum die Linke sich für den Erhalt der Vereinsfreiheit eingesetzt hatte.

Nachgefragt!

Erst kürzlich hat MdB Ulla Jelpke erneut eine kleine Anfrage an das Parlament in Bezug auf die aktuellen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Insignienverbot gerichtet. Die Antworten der Regierung waren wenig erhellend. Nun, es war nicht zu erwarten, dass man die eigene Position mit harten Fakten und unverückbaren Zahlen würde unterfüttern können. Dazu an anderer Stelle mehr.

Ich hatte Ulla Jelpke im Mai 2017 erstmalig zum Thema interviewt und im Februar diesen Jahres erneut eine redaktionelle Anfrage versandt, die allerdings unbeantwortet blieb. Nun kam doch noch ein Feedback aus dem Fraktionsbüro und man bat mir im Kontext zu Ulla Jelpkes erneuter kleinen Anfrage an die Regierung ein Interview an.

MdB Ulla Jelpke vertritt klar die Position, dass Bürgerrechte nicht für die Illusion von Sicherheit geopfert werden dürfen!

Das Interview!

Frau Jelpke, 2017 wurde die Verschärfung des Vereinsgesetzes verabschiedet, die letztlich zum Insignienverbot für einige Clubs führte. Die Partei „Die Linke“ hat seinerzeit entschieden dagegen votiert. Erläutern Sie bitte noch einmal kurz, warum Sie das taten. Was waren die Kernelemente Ihrer Ablehnung?

Die Ablehnung der Linksfraktion bezüglich einer Verschärfung des Vereinsgesetzes gründete sich auf rechtsstaatlichen und demokratischen Überlegungen. Es ist aus unserer Sicht eine unzulässige Sippenhaftung, wenn unbescholtene Mitglieder von Rockerclubs für einige schwarze Schafe in ihren Reihen in Mithaftung genommen werden. Zudem richtet sich die Vereinsgesetzverschärfung ja nicht nur gegen Rockerclubs, sondern – und das gibt die Bundesregierung auch in ihrer Antwort auf unsere jetzige Anfrage offen zu – , auch gegen politische Zusammenschlüsse. Unter dem Vorwand, gegen Rockerkriminalität vorgehen zu wollen, findet hier also ein Angriff auf demokratische Grundrechte auch anderer Bevölkerungsgruppen statt. Zur Bekämpfung der ja tatsächlich vorhandenen Rockerkriminalität – ich würde lieber von Kriminalität unter dem Schutzmantel von Rockerclubs sprechen – ist die Vereinsgesetzänderung untaugliche Symbolpolitik.

Wenn Sie auf die letzten drei Jahre zurückblicken, wie sehen Sie ihre damalige Haltung in Bezug auf heutige Erkenntnisse. Fühlen Sie sich bestätigt oder haben sich Aspekte ergeben, die den Befürwortern objektiv Recht gaben?

Wenn ich mir die Antwort der Bundesregierung auf unsere aktuelle Kleine Anfrage anschaue, dann fühle ich mich in der Tat in meiner damaligen ablehnenden Haltung gegen diese Gesetzesverschärfung bestätigt. Die Bundesregierung kann in ihrer Antwort auch keine nachweisbaren, sondern nur gefühlten Erfolge im Kampf gegen Rockerkriminalität anführen. Dass Gewalt zwischen konkurrierenden Rockerclubs zurückging, weil die Clubs nun an einem Strang ziehen, um das Gesetz wieder rückgängig zu machen, mag allenfalls ein Nebeneffekt der Gesetzesverschärfung sein.

Die Qualität der parlamentarischen Diskussion war m. E. insbeondere in den ersten beiden Lesungen im Bundestag zum Teil unterirdisch. Man verwies auf private Talks mit Schauspielern und ein Mitglied des Parlamentes merkte sogar an, dass man wisse, dass ein Insignienverbot nichts daran ändert, dass es auch in Zukunft weitere Straftaten geben wird. Wie bewerten Sie das in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit von Gesetzen zum Nachteil einer gesamten Gruppe?

Zu den Bundestagsdebatten kann ich nur sagen, dass dort viele Abgeordnetenkollegen ihren Vorurteilen folgten und auf effekthascherischen Populismus setzten, aber wenig Ahnung vom Sachverhalt hatten. Denn bei der Gesetzesnovelle wurde jedes Maß verloren. Es ist aus Sicht der Linksfraktion definitiv nicht verhältnismäßig, Tausende unbescholtene Mitglieder von Rockerclubs in Mithaftung für einige kriminelle Mitglieder ihrer Clubs zu nehmen. Dazu kommt, dass ja Straftaten von Rockern nicht dadurch bekämpft werden können, dass ihren die Insignien von den Kutten genommen werden. Glauben denn die Befürworter dieses Gesetzes, dass ein Mitglied eines Rockerclubs etwa nur dann Drogen verkaufen oder Einbrüche begehen kann, wenn er ein auffälliges Symbol auf der Kutte trägt? Mir erscheint doch eher das Gegenteil logisch.

Wie beurteilen Sie die Reaktionen in der Rocker-Szene nach dem Insignienverbot? Hat Sie die nahezu kollektive Einhaltung der Vorgaben überrascht?

Die Bundesregierung gibt an, dass die betroffenen Rockerclubs umgehend die verbotenen Insignien von ihren Vereinsheimen, Kutten und Internetseiten entfernt haben und sich zu einer gemeinsamen Verfassungsbeschwerte vor dem Bundesverfassungsgericht zusammengeschlossen haben. Dieses Verhalten entspricht nicht gerade dem von vielen Medien und Teilen der Politik beschworenen Bild von den Rockern als gesetzlosen Outlaws. Überrascht hat mich das allerdings nicht. Schon zur Anhörung des Innenausschusses, die im Dezember 2016 auf Antrag der Linksfraktion stattfand, waren ja Vertreter von eigentlich verfeindeten Rockerclubs wie den Bandidos und den Hells Angels einträchtig nebeneinander auf der Besuchertribüne gesessen. Die Rockerszene zeigt, dass sie an einem Strang ziehen kann, wenn ihre gemeinsamen Rechte bedroht werden. Ähnliches können wir ja auch im Bereich des Fußballs beobachten, wo Fans von Vereinen, die sich eigentlich hassen und des Öfteren auch prügeln, gemeinsam gegen undemokratische Reglements des DFB aktiv werden.

Rocker gelten oftmals als notorische Gesetzesbrecher. Jetzt in Zeiten von Covid-19 hören wir nichts von irgendwelchen Konflikten. Wie schätzen Sie das ein?

Rocker mögen sich ja durchaus gerne ihre eigenen Regeln geben und manche von ihnen inszenieren sich ja auch selbst als Outlaws und Rebellen. Doch soweit ich es von außen beurteilen kann, sind für Rocker auch Werte wie Freundschaft und die Sorge um die eigene Familie sehr wichtig. Da verwundert es mich nicht, dass Rocker in Zeiten der Corona-Krise verantwortungsvoll agieren.

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linken im Bundeastag.

Karlsruhe hat der Verfassungsbeschwerde der Clubs stattgegeben. Was glauben Sie, wie das BVG entscheiden wird?

Ich kann und möchte dem BVG in seiner Entscheidung nicht vorgreifen. Doch oft genug war das BVG in den letzten Jahren eine wichtige Korrekturinstanz für rechtsstaatswidrige und undemokratische Gesetzesverschärfungen. Daher hoffe ich, dass die Karlsruher Richter auch in diesem Fall eine Fehlentscheidung der Regierenden geraderücken werden.

Was sollten die Clubs selber tun, um zukünftig nicht mehr mit derartiger Symbolpolitik konfrontiert zu werden? Müssen Sie überhaupt etwas tun?

Organisierte Kriminalität gibt es natürlich auch in Rockerclubs und das ist in der Tat ein Problem, das bekämpft werden muss. Hier kann ich nur an die Rocker appellieren, in ihren eigenen Reihen für Ordnung zu sorgen und aufzupassen, dass niemand den Deckmantel oder Schutz des Clubs für kriminelle Machenschaften nutzt. Doch auch wenn es keine Rockerkriminalität gäbe, befürchte ich, dass Rocker aufgrund ihres selbstgewählten alternativen Lebensstils Anfeindungen ausgesetzt sein werden. Damit müssen die Rocker sicherlich leben, schließlich zwingt sie niemand, einem Rockerclub beizutreten und sie pflegen ja oft selbst das Image von wilden Gesetzlosen. Doch vor dem Staat und dem Gesetz sollten alle gleich sein – da darf es keine Diskriminierung aufgrund von Lebensstil oder Lebensweise geben.

Im Mai 2017 bezeichneten Sie in einem Interview mit mir das Agieren der Regierung quasi als taktische Maßnahme in Bezug auf die bevorstehende Bundestagswahl. Wir steuern erneut auf eine Bundestagswahl zu. Wer sagt uns, dass Ihre Position und der Zeitpunkt ihrer aktuellen Anfrage an das Parlament nicht auch dazu dienen soll Stimmen in Randgruppen zu fischen?

Also bis zur nächsten Bundestagswahl sind es ja noch 1 ½ Jahre. Und wer mich und meine Politik kennt, weiß, dass ich bürgerrechtliche Positionen durchgängig und unabhängig von irgendwelchen Wahlen vertrete. Wenn die Linksfraktion sich für die Rechte sogenannter Randgruppen einsetzt, macht sich das selten positiv in Stimmen bemerkbar – im Gegenteil! Ich bekomme immer wieder Zuschriften von Bürgern, die erklären, nun nicht mehr die Linkspartei wählen zu wollen, weil ich mich für die Rechte von Flüchtlingen oder Strafgefangenen oder Besuchern von Shishar-Bars im Rahmen der Verfolgung sogenannter Clans eingesetzt habe.

Angesichts der medialen Hetze gegen Rocker mache ich mir außerhalb der Rockerszene bestimmt keine Freunde mit so einer Kleinen Anfrage oder diesem Interview hier. Natürlich würde ich mich freuen, wenn Rocker ihre Stimme der Linkspartei geben. Sie sollten das aber nicht nur wegen unserer Position zum Vereinsgesetz tun. Auch Rocker sitzen nicht 24 Stunden am Tag auf ihren Harley, sondern gehen einer Arbeit nach, für die sie gerne ordentlich bezahlt werden wollen und sie wohnen in Wohnungen, für die sie zu hohe Mieten zahlen müssen. Auch Rocker sollten kein Interesse an den Kriegsdrohungen der NATO gegen Russland haben. Das sollten alles Gründe für eine Wahl der Linken als der Partei des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit sein.

Gibt es in Bezug auf die gesamte Rockerszene mittlerweile irgendwelche faktischen und unverrückbaren Aspekte, die ansatzweise das Insignienverbot aus heutiger Sicht rechtfertigen?

Ich kann solche Aspekte nicht erkennen.

Mittlerweile gibt es die Demo „Freedom is our Religion“ in Berlin. Diese richtet sich gegen das Insignienverbot. Würden Sie dort zu den Teilnemern sprechen, wenn Sie dazu eingeladen werden würden?

Ich habe ja schon in der Vergangenheit vor Bikern gesprochen und würde eine Einladung zu so einem Treffen auch gerne wieder annehmen, wenn es meine Zeit zulässt. (Interview Ende)

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Tut mir mal einen Gefallen. Auch wenn aufgrund der Haltung der Partei „Die Linke“ die Antworten von Ulla Jelpke den Argumenten vieler aus der Rockerszene erwartungsgemäß ordentlich Futter geben, so lasst euch mal etwas Zeit, bevor ihr in die Tasten haut. Kommentare wie „Das haben wir immer gesagt“ oder „FTS“ bringen uns nicht einen Deut weiter.

Was die Initiatoren von Freedom is our Religion mit der Antwort auf meine letzte Frage anfangen, ist deren Sache. Ich habe da lediglich einmal vorgefühlt, um eine Bereitschaft abzuklären. Diese ist also da. Nun, da fällt mir ohenhin noch ein anderes Format ein. Zwinker! Mal sehen, was ich damit anfange. Ob die Partei „Die Linke“ parteitaktische Motive hat, kann ich noch nicht abschließend beurteilen. Fakt ist, dass Ulla Jelpke als innenpolitische Sprecherin sich der Thematik Insignienverbot immer wieder durch ihre Anfragen annimmt und konsequent nachhakt, auch in Zeiten, in denen sich die Menschen für den Aspekt Rocker nun wahrlich nicht interessieren.,

Ich verzichte hier mal auf den Vorturner und werde erst später meine eigene Einschätzung veröffentlichen, da ich noch die kleine Anfrage durchackern möchte. Ihr seid also zuerst dran, wobei mich insbesondere Statements von Membern der betroffenen Clubs interessieren.

Hier die Antworten der Regierung auf die kleine Anfrage, die für den Gesamtkontext m. E. wichtig sind: https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2020/04/KA-19_18028_Vereinsgesetz.pdf

Autor: Lars Petersen

Mitglied im DPV Deutscher Presseverband - Verband für Journalisten e.V. Über 30 Jahre Erfahrung als Vertriebsmann, davon 9 Jahre Anzeigenleiter bei der Borgmeier Media Gruppe GmbH in Delmenhorst. Steckenpferd? Texten. Zur Person? Vater und MC-Mitglied (1%er). Karre? 99er Harley Davidson Road King. KM pro Jahr? Das reicht schon! Mein Credo? Geht nicht, gibt es nicht!! Machen, nicht labern! Der Autor weist ausdrücklich darauf hin, dass er seine Tätigkeit mit der höchst möglichen Neutralität und Objektivität ausführt und die Inhalte im Online-Magazin nur von ihm entschieden werden, sofern es sich nicht um bezahlte Aufträge handelt. Besonderes: U. a. Veranstalter von Bikes, Music & More Vol.1 bis 5. - Das Biker-Festival in Delmenhorst, Organisator der Biker Meile im Rahmen des Delmenhorster Autofrühlings sowie Produzent vom Motorcycle Jamboree Journal. Ausrichter vom Rocker Talk 1 und 3.