Näher hingeschaut!
Im Februar dieses Jahres habe ich erstmalig über den von Claus Niedermeier gegründeten Barber Angels e. V. berichtet und nachfolgend ein Interview mit Vereinsmitglied Pako aus Hamburg geführt. Aufgefallen war mir der Verein, weil die Mitlieder allesamt als gemeinsames Erkennungszeichen eine Kutte tragen, sich damit klar an den Insignien der Rockerclubs orientieren, und weil wir ohnehin eine Affinität zum Thema Benefiz besitzen und dafür extra eine Rubrik gesetzt haben. Da lag die Schnittmenge, um das Thema auch hier zu beackern.
Gestern nun wurde beim Bürgerfest des Bundespräsidenten der Vereinsgründer Claus Niemeyer zusammen mit 4.000 anderen Ehrenamtlichen für sein soziales Engagement geehrt. Und mit Sicherheit ist das verdient, denn es gibt vermutlich derzeit kein einziges Projekt für Obdachlose, dass so abnorm in kürzester Zeit gewachsen ist und eine derart hohe Medienpräsenz vorweisen kann.
Da hat die zuständige PR-Agentur einen echt geilen Job gemacht, wobei die aktuelle Diskussion über mangelnden Wohnraum sowie die Verdrängungseffekte zum Nachteil von Obdachlosen durch die Einwanderung dieses Anliegen klar fördern. Sei es drum, es vergeht kaum ein Tag, wo nicht irgendwo in Deutschland in den Gazetten oder im Netz über die Barber Angels etwas zu lesen ist.
Doch ist das Anliegen nachhaltig?
Ich habe das Projekt verfolgt, die Barber Angels sind auch bei unseren Aktionen bisher zweimal aktiv gewesen (allerdings ohne Pressebegleitung), doch derzeit erkenne ich nicht, dass diese geballte PR-Lawine dazu geführt hat, dass sich die Presse substantieller und orientiert an den echten Problemen auf der Straße der Thematik über diese Aktionen hinaus gewidmet hat. Und hier setze ich an.
Auch ich kenne den Grundsatz „Tue Gutes und sprich darüber“. Doch worüber sprechen wir denn wirklich? Die Storys werden mit professionellen Bildern begleitet, hier und da geht ein Redakteur auch auf die Sachebene ein, aber unter dem Strich kommt mir derzeit das Ganze eher wie eine bombastische PR-Maschine für den Verein selbst vor, in der kein Raum für Kritik an der aktuellen Politik gegeben ist und/oder tatsächliche Missstände aufgezeigt werden. Im Klartext, es fehlt an Substanz!
Dabei könnte der Verein mit dieser geballten Medienpräsenz und seinen sicherlich guten Kontakten einiges bewirken und auf diese Art zum Beispiel als Supporter für die vielen bundesweiten privat organisierten Projekte dienen, die jeden Cent benötigen, um Woche für Woche auf der Straße den Bedürftigen eine Stütze zu sein, für die sich aber keine Sau interessiert, außer wenn das eigene Versagen der Politik mal wieder durch den Deckmantel des Ehrenamtes gedeckt werden muss. Da holt man die nämlich gerne aus der Schublade heraus!
Ich habe mich seinerzeit mit der obersten Presse-Lady unterhalten und sie hat mir klar bestätigt, dass die Barber Angels durchaus den Aspekt Obdachlosigkeit in den öffentlichen Fokus stellen wollen. Das haben sie definitiv geschafft. Nur fehlt mir komplett der Ansatz, Dinge pro aktiv zugunsten der Obdachlosen zu verändern, damit ihnen das Leben etwas leichter gemacht wird.
Ein neuer Haarschnitt wird natürlich immer gerne mitgenommen, bei unserer letzten Aktion haben die Barber Angels echt was gerissen, aber meines Erachtens ist nunmehr ein Punkt erreicht, wo man einen Schritt weiter gehen muss. Das mag nicht der Wille der Barber Angels sein, aber wenn man diesen Aspekt den Privaten überlässt, die nicht im Ansatz über diese Reichweite verfügen, so wird sich auf politischer und soziokultureller Ebene gar nichts ändern, außer das man regelmäßig tolle Bilder sieht und kurzzeitig darüber nachdenkt, wie beschissen es manchen Menschen geht. Kaum gelesen, ist das Ding aber schnell durch.
Sollte der Verein sich dieser Thematik widmen, wird es weitaus weniger PR-Storys geben, denn dann entstehen Wechselwirkungen, auf die viele Pressevertreter so gar keinen Bock haben, da sie dann die Sozialpolitik nachhaltig hinterfragen müssten. Doch das sollte man in Kauf nehmen, selbst wenn die Äquivalenz, dass ist der Wert der medialen Präsenz auf Basis von Anzeigenpreisen in Punkto Flächenanteil, sinken wird. Am Ende obsiegt Substanz und nur diese kann echte Veränderungen herbeiführen.
Um es klar zu stellen, es ist gut, dass es die Barber Angels gibt und das die Obdachlosen dadurch auch immer wieder ein Thema sind. Mir geht es aber inhaltlich nicht weit genug. Hier und da findet man zwar auf der Page der Barber Angels im Fratzenbuch kleine Storys über Begegnungen mit Obdachlosen im Alltag, wenn ich aber die gesamte Interaktion der über 10.000 Menschen als Maßstab nehme, die die Page geliked haben, dann sind die Posts über Obdachlosenthemen selber echt mega dünn besetzt und für mich ein Indiz dafür, dass der eigentliche Fokus auf den Aktionen liegt, aber eine nachhaltige Auseinandersetzung und Diskussion mit der Thematik nicht stattfindet. Warum eigentlich nicht?
Claus Niedermeyer spricht in dem unten eingestellten Video selber davon, dass er den Menschen u. a. Würde zurück geben will und das die Barber Angels erreichen möchten, dass die Obdachlosen wieder mit der Gesellschaft verschmelzen. Seine Motive kann und will ich nicht kritisieren, das einzelne Engagement der Mitglieder ist auch nicht mein Thema, aber der kostenlose Haarschnitt wird sicherlich kaum ausreichen, um die Gesellschaft zu verändern oder einen Weg zu ebnen, durch den die Kollegen zurück in den zivilen Alltag finden.
Ich bitte diesen Artikel als Anregung zu verstehen, um ggf. mal gemeinsam zu diskutieren, warum es immer mehr Obdachlose gibt, denen man die Haare schneiden kann. Ein Zeichen für eine positive Veränderung der Lage auf der Straße ist das nämlich nicht! Mal drüber nachdenken! Wenn diesbezüglich an einem Gespräch Interesse besteht, ich bin ganz Ohr!
Das Video mit Claus Niedermeier: www.katholisch.de/video/22461-so-gesehen-talk-claus-niedermaier-und-die-barber-angels