Doku: „Ein Hells Angel unter Brüdern“!

Persönliche Analyse!

Um es vorweg zu nehmen: Die Dokumentation „Unter Brüdern“ über das Stuttgarter Charter des Hells Angels MC Germany, angeführt von seinem Präsidenten Lutz Schelhorn, spricht nur für dieses Charter, keinesfalls für den gesamten MC. Darauf hatte Lutz Schelhorn selber in der Doku explizit hingeweisen.

Wie wir alle wissen, gibt es regional durchaus beachtliche Unterschiede im Handling eines Charters sowie in der daraus resultierenden Wahrnehmung in der regionalen Szene. Hätte Marcel Wehn mit den Berliner Hells Angels zusammen garbeitet, wäre vermutlich ein völlig anderer Eindruck entstanden. Hat er aber nicht!

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Ich weise deshalb darauf hin, weil es sehr viele Szene-Gänger gibt, die sich nach der Ausstrahlung in den Kinos sowie auf ARTE gewünscht haben, dass diese Doku repräsentativ für den gesamten Club steht. Auch die Kommentare in den sozialen Medien dokumentieren das recht klar. Und dieser Umstand ist mit Sicherheit stark an die Person Lutz Schelhorn angelehnt.

Zur Person!

Lutz Schelhorn ist Berufsfotograf und genießt in Stuttgart ein beachtliches Ansehen als Künstler. Seine Bild-Dokumentaion über Stuttgart 21 hat es zum Beispiel in die heiligen Hallen städtischer Einrichtungen geschafft. Der Mann ist medien-affin, wortgewandt und hat Charisma. Er ist Mitbegründer des Stuttgarter Charters, welches bundesweit ein positives Image genießt. Nicht nur einmal habe ich gehört, die Stuttgarter seien halt anders wie die übrigen Hells Angels. Was das nun bedeuten kann, mag sich jeder so nehmen, wie er es braucht.

Unter dem Strich könnte man somit vermuten, die Stuttgarter seien das Referenz-Charter des HAMC Germany und würden immer dann einen Rolle spielen, wenn man sich um eine positive PR bemüht. Dieser Gedanke liegt auf der Hand, wäre allerdings m. E. zu kurz gegriffen. Wer sich die Vita von Lutz Schelhorn anschaut, stellt schnell fest, dass er schon immer für Themen offen war, die nicht zwingend typisch für einen Rocker sind. Wenn Lutz Schelhorn von der alten Schule spricht, nimmt man es ihm ab.

Die Dokumentation!

Diese bemüht sich um einen neutralen Einblick in das Charter. Auch die lokalen Vertreter der zuständigen Behörde sowie Vertreter der Presse kommen zu Wort. Auffällig dabei ist, dass wir in der Dokumentation kaum etwas von den üblichen massiven Pauschalverurteilungen hören, im Gegenteil, Kritik an dem Vorgehen von Politik und Presse ist unüberhörbar. Es wird klar darauf hingeweisen, dass die Presse nach einer Art Baukasten-Prinzip agiert. Längst bekannt, aber eben nicht aus dem Mund eines Journalisten aus dem Sektor Investigative Recherche, der in der Doko fast schon eine Kollegen-Schelte vergibt.

Nun wissen wir nicht, welchen Einfluss das Charter auf den Inhalt der Doku tatsächlich hatte. Ich gehe davon aus, dass die Hells Angels sicherlich ein Wörtchen mitzureden hatten, aber die Intention und Ausrichtung ausschließlich in den Händen von Marcel Wehn lag. Alles andere wäre ja auch eine reine Mogelpackung. Das diese Doku zwar die Thematik Bad News anspricht, jedoch in keinster Weise dem üblichen Leitmotiv folgt, könnte auch damit zu tun haben, dass die Arbeiten zu dieser Doku sehr viele persönliche Kontakte mit den Stuttgarter Hells Angels notwendig machte, insbesondere mit Lutz Schelhorn.

Und plötzlich prallen die persönliche Erfahrungen auf die im Kopf verankerten Klischees, die sicherlich auch bei Marcel Wehn vorhanden sind. Da sitzt einem ein Mann gegenüber, der so gar nicht dem Bad Boy-Image entspricht. In einem Interview hat Marcel Wehn dieses auch realativ klar zum Ausdruck gebracht. Seine inhaltliche Arbeit muss in jedem Fall anerkannt werden, da sie nicht wertet, sondern lediglich dokumentiert. Dass dadurch eine völlig andere Wahrnehmung entsteht. liegt auf der Hand. Die Zutaten für dieses Format sind ja auch völlig andere, als das, was wir aus dem Mainstream kennen. Eine derartige Dokumentation darf nicht auf der Basis einer Vorverurteilung erstellt werden. Dem wird Wehn gerecht.

Ich hatte in der Tat beim Betrachten der Doku das Gefühl, dass sich Lutz Schelhorn ernsthaft einen Kopf darum macht, ob er seinen Rocker-Lifestyle zukünftig überhaupt noch so leben kann, wie er es über Jahrzehnte tat. Das freie Leben der 70er und 80er ist ohenhin vorbei. Der Druck staatlicher Repressalien kilt heutzutage den letzten Rest an Individualität. So gesehen nehme ich ihm persönlich seine Intention ab, zumal der betriebene Aufwand enorm ist. Wenn es ausschließlich um PR ginge, könnte man positive Faktoren auch mit weitaus weniger Aufwand erreichen. Natürlich schafft es die Dokumentation nicht, das Gesamt-Image des MC selber zu verändern. Nochmals, es geht nur um Stuttgart.

Eigene Fehler?

Dieser Aspekt kommt nur beiläufig zum tragen. Das Kind wird nicht beim Namen genannt. Da steckt jeder Member eines Clubs ohnehin in einem Dilemma. Die Rules einer Bruderschaft verbieten es de facto, offen Kritik an dem Agieren anderer Charter/Chapter auszusprechen. Man regelt die Dinge intern. Wer diesbezüglich mehr erwartet hatte, war von vorne herein auf dem Holzweg. Zudem ist es ja auch keine Dokumentation über den Hells Angels MC Germany.

Das der Fall der schweren Vergewaltigung durch einen Member überhaupt erwähnt wurde, überrascht positiv, denn da der Hells Angel verurteilt wurde, wirft man sich in diesem Punkt quasi den jaulenden Wölfen zum Frass vor. Das der leitende Polizist das Agieren von Kalli im Fall des getöteten SEK-Beamten auf die moralische Ebene zieht verwundert nicht, denn der Mann wurde vom höchsten Gericht freigesprochen. Für mich der eher untaugliche Versuch, dem gesamten Einsatz das Geschmäckle zu nehmen und von massiven Fehlern der Polizeitaktik abzulenken.

Wenn es interne Prozesse gibt, wird es eine sehr lange Zeit dauern, bis diese nach außen erkennbar werden. Das ist wie mit einer Diät. Der Speck aus 10 Jahren, ist nicht in 4 Wochen beseitigt. Da wird man schon locker 5 Jahre brauchen, um das wieder gerade zu biegen. Zudem muss man die Einstellung ändern, was bekanntlich am schwersten fällt, denn ich muss mich und mein Agieren ja selber hinterfragen und mir Fehler eingestehen. Da erwartet man von einem Rocker vermutlich etwas zu viel.

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Fazit!

Ein gute Dokumentation, weil sie sich um Neutralität bemühte, nicht verurteilt, Menschliches zulässt, und den beteiligten Protagonisten einen Raum bot, die Aspekte aus der eigenen Sicht zu schildern. Zudem eine gute PR für das Buch Jagd auf Rocker, welches derzeit heftigst diskutiert wird. An der Gesamt-Wahrnehmung des MC wird sie jedoch meines Erachtens kaum etwas ändern. Da reicht ein Schelhorn alleine nicht aus.

Einige Qualitätsmerkmale von Dokumentation sind: Vollständigkeit, Übersichtlichkeit, Verständlichkeit, Strukturiertheit, Korrektheit, Editierbarkeit, Nachvollziehbarkeit, Integrität/Authentizität (z. B. Änderungshistorie) und Objektivität. Ob „Unter Brüdern“ diesen wesentlichen Qualitätsmerkmalen gerecht wird, muss nun jeder für sich selber entscheiden. Noch nicht gesehen?

Die Doku findet ihr auf you tube! 

Autor: Lars Petersen

Mitglied im DPV Deutscher Presseverband - Verband für Journalisten e.V. Über 30 Jahre Erfahrung als Vertriebsmann, davon 9 Jahre Anzeigenleiter bei der Borgmeier Media Gruppe GmbH in Delmenhorst. Steckenpferd? Texten. Zur Person? Vater und MC-Mitglied (1%er). Karre? 99er Harley Davidson Road King. KM pro Jahr? Das reicht schon! Mein Credo? Geht nicht, gibt es nicht!! Machen, nicht labern! Der Autor weist ausdrücklich darauf hin, dass er seine Tätigkeit mit der höchst möglichen Neutralität und Objektivität ausführt und die Inhalte im Online-Magazin nur von ihm entschieden werden, sofern es sich nicht um bezahlte Aufträge handelt. Besonderes: U. a. Veranstalter von Bikes, Music & More Vol.1 bis 5. - Das Biker-Festival in Delmenhorst, Organisator der Biker Meile im Rahmen des Delmenhorster Autofrühlings sowie Produzent vom Motorcycle Jamboree Journal. Ausrichter vom Rocker Talk 1 und 3.