Heute wir, morgen ihr!
Kürzlich erhielt ich Kenntnis davon, dass Member eines MC’s aus Schleswig-Holstein, welcher nicht durch die Verschärfung des Vereinsrechtes in 2017 erfasst wurde, mit einem Strafverfahren belegt wurden, weil sie ein Support-Patch eines Charters des HAMC Germany sowie die 1%er-Raute trugen. Seltsam, diese Patches tragen sie seit Jahren und wurden damit auch schon mehrfach kontrolliert. Keine Beanstandungen! Sofort dachte ich an die Aussage „Heute wir, morgen ihr“, die ich in meinen Reden vor dem Brandenburger Tor im Rahmen der Demo Freedom is our Religion bereits thematisiert hatte.
Logen weckte das meine Neugierde und führte zu weitergehenden Kontakten, u. a. mit Rechtsanwalt Uwe Schadt aus Berlin, der die betroffenen Member in den Strafverfahren vertritt und in der Hauptstadt bereits etliche Verfahren in puncto Verstöße gegen das Insignienverbot mit Freisprüchen abschloss oder in Ausnahmefällen zur Einstellung brachte. Steigen wir direkt ein, nachfolgend dann meine Anmerkungen.
Das Mailinterview mit Uwe Schadt!
Herr Schadt, verstehe ich das richtig, dass jetzt Member von MC’s mit einem Strafverfahren rechnen müssen, wenn sie ein Support-Patch eines vom Insignienverbot betroffenen MC’s bzw. die 1%er-Raute tragen, obwohl sie selber überhaupt nicht in einer Verbotsverfügung erfasst wurden?
Vorab vielen Dank für die Einladung!
Vereinsverbote müssen im Bundesanzeiger veröffentlicht werden, damit jeder von uns zumindest online – bundesanzeiger.de – schon mal nachschauen kann, welcher Chapter/Charter – überhaupt verboten wurde.
Mit ein bisschen Glück zeigt uns der Bundesanzeiger in der jeweiligen Bekanntmachung auch ein oder zwei oder auch kein Bild eines – aus Sicht der Verbotsbehörde, aber dazu später – Kennzeichens des jeweils verbotenen Vereins; so enthält die dort veröffentlichte Verbotsverfügung vom 07.07.2021, betreffend das Verbot des Bandidos MC Federation West Central“ gleich 41 Abbildungen, die dort veröffentlichte Verbotsverfügung vom 20.10.2014, betreffend das Verbot des HAMC Göttingen 0 Abbildungen.
Auch diverse andere dort veröffentlichte Vereinsverbote von Chaptern/Chartern enthalten KEINE bildliche Darstellung von Kennzeichen, erklären jedoch, dass mir und jedem anderen die öffentliche Darstellung eines Kennzeichens eben dieses Vereins bei Androhung von Strafe untersagt wird.
Um also die Frage zu beantworten: JA! Auch wenn ein Kennzeichen nicht in einer Verbotsverfügung gezeigt/benannt/beschrieben wird, kann es mir „auf die Füße fallen“.
Wie kann das angehen? Entwickelt sich das Thema zu einer Art Bauchladen, in den ich ständig etwas Neues hereinpacke und mich nach Herzenslust bediene?
Die Antwort auf die Frage klingt einfach, macht aber die juristische Praxis hochkompliziert.
Jeder Chapter / Charter bestimmt selbst, welches Symbol/welche bildliche Darstellung er zu seinem KENNZEICHEN (nicht Abzeichen oder Funktionsträgerpatch o.ä.) machen will und er trifft diese Entscheidung entweder ausdrücklich in seiner Satzung oder aber durch tatsächliche Übung / Verwendung. Das war der einfache Teil.
In unserer Demokratie herrscht Gewaltenteilung: Legislative (gesetzgebendes Parlament), Exekutive (Innenministerium/Polizei/Staatsanwaltschaft), Judikative (Gerichte).
Die Legislative hat im VereinsG nur pauschal erklärt: Kennzeichen verbotener Vereine dürfen nicht verwendet werden! Die Exekutive darf nach dem VereinsG lediglich erklären: Verein A wird verboten!
Die Judikative muss entscheiden: Welche Symbole waren KENNZEICHEN des Vereins A? Um es deutlicher zu formulieren: Die Exekutive kann überhaupt nicht bestimmten, auch nicht in einer Verbotsverfügung im Bundesanzeiger, welches Patch ein Kennzeichen des Vereins A war.
Das war der komplizierte Teil – und damit ist klar, JA! Die Strafrechtsnorm im VereinsG ist ein Bauchladen, in den die Polizei / Staatsanwaltschaft ständig etwas Neues hereinpacken kann und aus ihrer Sicht sogar muss.
„Um das Ganze vielleicht an einem – hinkenden – Beispiel darzustellen:
Der Bundesinnenminister verbietet alle BMW-Motorräder, teilt das im Bundesanzeiger mit und zeigt dort auch ein Bild des uns allen bekannten blau/weißen Logos. Ich fahre am nächsten Tag mit meinem Ofen unfreiwillig in die Verkehrskontrolle.
Cop: Sie dürfen Ihren Ofen nicht mehr fahren!
Ich: Warum nicht ????
Cop: Gestern hat der BMdI alle BMW-Motorräder verboten.
Ich: Prima! Aber ich fahre ja erkennbar eine Harley.
Cop: Egal, Ihr Ofen hat auch 2 Zylinder und ich fertige jetzt eine Strafanzeige.
Uns ist klar, dass die Begründung des Cop komplett das Verbotsthema verfehlt und FALSCH ist. Andererseits hat mein Ofen tatsächlich 2 Zylinder. Ich muss nun (theoretisch) abwarten, wie die Strafjustiz folgende Frage beantwortet: Ist der 2-Zylinder das/ein Kennzeichen von BMW oder ist nur das BMW-Logo das/ein Kennzeichen von BMW? (In Berlin mussten wir uns zudem schon mit dem Zusatzthema befassen: Was passiert, wenn jemand auf einem verbotenen BMW-Motorrad unterwegs war und dabei ein Harley-T-Shirt trug. Hat sich BMW damit das Harley-Logo als Kennzeichen zu eigen gemacht, sodass das Harley-Logo jetzt ebenfalls unter das BMW-Verbot fällt?)
Wie bitte soll der Beamte vor Ort dieses Thema eigentlich noch rechtlich fundiert bewerten können. Muss man da nicht zukünftig mit einer Flut an Strafanzeigen rechnen?
Der Beamte vor Ort kann dieses Thema aus meiner Sicht nur bei „Klassikern“ – also Centerpatch und Toprocker in entsprechender Farbe und Schriftart – einschätzen, allerdings werden diese beiden vorbenannten Patches in der Öffentlichkeit nicht mehr verwendet.
Alles, was darüber hinausgeht, schon jeder Bottomrocker oder „MC“ oder „1%er“ oder „Funktionsträgerpatches“ oder „Support-patches“ sind selbst aus Sicht der Judikative Fälle der Pflichtverteidigung, da die Sach- und Rechtslage so kompliziert ist. Ob man mit einer Flut von Anzeigen zu rechnen hat, versuche ich unter Punkt 5 kurz auszuführen.
Herr Schadt, halten sie es für denkbar, dass sich der Staat irgendwann ganz generell mit der 1%er-Szene beschäftigt und alle Träger von 1%er-Insignien angeht?
Die 1%er-Szene ist immer ein spannender Lückenfüller für politische Sommerlöcher und ambitionierte Wahlkämpfer. Ich persönlich halte es aber für ausgeschlossen, da wir seit 2017 in der Szene über Club- und Bundesländergrenzen hinweg polizeiliche Maßnahmen verwaltungsgerichtlich überprüfen lassen, politische Entscheidungsprozesse durch die Nutzung der Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und Länder hinterfragen und die Herausgabe entsprechender Unterlagen verlangen, auf Großveranstaltungen unseren Schulterschluss unter Beweis stellen und konsequent und sehr erfolgreich in sog. Kennzeichen-Strafverfahren agieren.
Wie sieht eigentlich die Situation in dem Schwerpunktbereich Berlin aus. Welche Erfahrungen haben sie dort selbst gemacht?
Im Jahr 2017,´ also unmittelbar nach der Änderung des VereinsG, erklärte uns „unser“ LKA, dass selbst die Schriftart „HessianRegular“ ein verbotenes Kennzeichen, in diesem Fall des HAMC, sei !
Ich habe das damals rein intellektuell nicht verstanden. Wie kann eine Schriftart ein Kennzeichen sein? Wir haben die Situation für Außenstehende immer so beschrieben:
Wenn es nach unserer Schwerpunktstaatsanwaltschaft geht, würde man den Kindern im Kindergarten auch die rot-weißen Buntstifte verbieten. Zudem gab es natürlich auch die „Null-Toleranz-Strategie“ der StA – bei Kennzeichenstrafverfahren gab es keine Einstellungen, sondern nur Schwarz oder Weiß / Verurteilung oder Freispruch.
Wir haben dann versucht, alle „Kennzeichenstrafverfahren“ des Landes Berlin bei einem Rechtsanwalt zu bündeln, um sicherzustellen, dass wir an allen Entscheidungen mitwirken können, zudem über alle gerichtlichen Entscheidungen des Landes informiert sind und auch nur mit einer Stimme sprechen.
Wir haben uns bundesweit mit drei oder vier weiteren szenekundigen Kollegen verbunden und auch hier ständig Entscheidungen und neue Entwicklungen kommuniziert, wobei wir feststellten, dass das Land Berlin überproportional viele Kennzeichenverfahren führte.
Zur Belustigung der verschiedenen Abteilungen unseres Amtsgerichts in Berlin-Moabit habe ich dann in allen Verfahren Anträge auf Beiordnung als Pflichtverteidiger gestellt, wegen der komplizierten Sach- und Rechtslage. Diese Anträge wurden regelmäßig, spätestens jedoch im Beschwerdeverfahren, durch das Landgericht und in zwei Fällen durch das Kammergericht Berlin positiv beschieden.
Das bedeutete, der Staat musste für jedes von ihm eingeleitete Strafverfahren auch den Anwalt finanzieren – das gab uns die Möglichkeit jeweils den Rechtsweg auszuschöpfen. In der Konsequenz haben wir keines der uns bekannten Verfahren verloren und seit geraumer Zeit gibt es keine Kennzeichenverfahren mehr.
Was sollte man tun, wenn man mit einem derartigen Strafverfahren belegt wird?
Nach meiner Erfahrung sind von Kennzeichenverfahren eher Supporter betroffen – also Leute, die auf Veranstaltungen oder online „Support-Stuff“ erworben haben und mit dem Tragen in der Öffentlichkeit ihre Verbundenheit zu einem bestimmten Club zum Ausdruck bringen.
Diese sollten sich bei einer Anzeige einfach an diesen Club wenden, da dieser selbst natürlich ein Interesse daran hat, sein „Support-Stuff“ zu schützen und Zugang zu einem Anwalt hat oder er / sie kontaktiert mich und ich versuche in der Region entweder selbst tätig zu werden oder aber einen Anwalt zu vermitteln. (Ende Mailinterview)
Persönliche Anmerkungen!
Ganz ehrlich, ich habe mir die Ausführungen von Rechtsanwalt Uwe Schadt nunmehr dreimal durchgelesen und habe es immer noch nicht zu 100 % verstanden. Offensichtlich ist es aber so, dass vom Insignienverbot (Kennzeichenverbot) nicht betroffene Clubs sich zukünftig alles Mögliche einfallen lassen könnten, letztlich wird es als ein verbotenes Kennzeichen gewertet werden, sofern die Polizei eine Verbindung zu einem vom Kennzeichenverbot betroffenen Clubs als gegeben ansieht. Im Zweifel gibt es also eine Strafanzeige. (In dem Kontext bitte ein Kennzeichenverbot nicht mit einem Clubverbot in einen Topf werfen)
Das riecht ja förmlich nach Willkür und die vielen Verfahren, die alleine Rechtsanwalt Uwe Schadt gewann, belegen m. E. eindeutig, dass man sich hier juristisch keinesfalls auf einem soliden Weg befindet, was für die Polizei letztlich aber unerheblich ist, weil die Lagebilder nur Verfahren erfassen, völlig unabhängig von einer richterlichen Entscheidung.
Nun könnte ich hier versuchen, dass alles minutiös aufzudröseln, das klemme ich mir aber. Stattdessen besuche ich am 01. Mai die Kundgebung des Freedom is our Religion e.V. auf dem Gelände des Backbone MC Nomads in Brettorf, bei der Rechtsanwalt Uwe Schadt anwesend sein wird und werde mich mit ihm vor Ort unterhalten. Selbiges empfehle ich jedem, der an dem Thema interessiert ist.
Bei dieser Demo wird es auch eine Ausstellung über die Entwicklung der nationalen und internationalen Bikerkultur geben. In dem Kontext habt ihr die Möglichkeit, euch mit Szenegängern zu unterhalten, die betroffen sind und durchaus fundiert Auskunft geben können. Nutzt das!
Auch wenn ich selbst nicht von den Maßnahmen betroffen bin, so lege ich nur aus diesem Grund das Thema ganz sicher nicht ad acta, denn tatsächlich bewerte ich das Kennzeichenverbot nicht emotional, frei nach dem Motto „Sie sind selber schuld!“, denn Strafverfahren sind keinesfalls ein moralisches Thema, sondern müssen den rechtsstaatlichen Grundsätzen gerecht werden und an dieser Stelle habe ich große Zweifel.
Sofern ich nach dem 01. Mai schlauer bin, komme ich auf die obigen Ausführungen von Rechtsanwalt Uwe Schadt erneut zu sprechen. Hier der Kontakt zur Kundgebung mit anschließender Ausfahrt:
Demo: https://www.facebook.com/events/1585836168896489/?active_tab=discussion
Kontakt Uwe Schadt: https://www.facebook.com/indubiopro
Eine Rede in Berlin von einem Mann, der nicht vom Insigneienverbot betroffen ist, sich aber betroffen fühlt: